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Was ist denn bitte Leitkultur?

Oktober 17, 2010

Im politischen Diskurs der letzten Jahre begegnet einem häufig das Wort Leitkultur. In den meisten Fällen in Kontexten die direkten Bezug zum Islam haben – die Kopftuchdebatte, das Kreuzverbot in bayrischen Klassenzimmern und bei den Diskussionen um Moscheen und Minarette. Dabei wird deutlich, dass die Menschen offenbar Angst davor haben, zu vielen Elementen einer anderen – fremden – Kultur im öffentlichen Leben zu begegnen und das Typische und Tradierte der Regionen in den Hintergrund tritt.

Das Verwunderliche an der Sache ist bei genauerer Betrachtung aber, dass Anleihen aus anderen Kulturen, wie z.B. der angloamerikanischen, ohne Murren übernommen werden und die Menschen dies entweder garnicht merken, oder als positiv bewerten. So sind wir alle mit Weihnachtsmännern aus Schokolade aufgewachsen und jeder weiß wann Halloween ist, aber mit der Frage nach Allerheiligen sind wir überfordert. Noch vor 30 Jahren wäre es im katholischen Bayern undenkbar gewesen am Abend vor Allerheiligen eine Art Fasching zu feiern und in einigen überwiegend protestantischen Bundesländern wird dadurch der Reformationstag verdrängt. Beide – Allerheiligen und der Reformationstag – sind aber doch, betrachtet man die kulturelle Entwicklung  Mitteleuropas in den letzen Jahrhunderten, sehr wohl wichtige Bestandteile der hiesigen Leitkultur (Diese Feiertage sollen nur exemplarisch zur Verdeutlichung dienen, man könnte an dieser Stelle wesentlich mehr aufzählen).

Insofern stellt sich die Frage, was denn eigentlich diese Leitkultur ist, die vordergründig – vor allem gegen den Islam – so vehement verteidigt werden muss, aber an anderer Stelle schleichend verschwindet und diese Entwicklung von vielen als positiv empfunden wird. Kann es nicht sein, dass es sich dabei – nüchtern betrachtet – einfach um Modeerscheinungen handelt? Kulturen, sind ja grundsätzlich keine statischen Gegebenheiten, sondern eigentlich ist es eines ihrer entscheidenden Merkmale, dass sie einem ständigen Prozess der Veränderung und Entwicklung unterliegen. Oder nicht?

3 Kommentare leave one →
  1. Oktober 17, 2010 4:59 pm

    Nein. Kulturen müssen gepflegt werden. Zur Pflege gehört auch die Kultur des „Umganges“ mit anderen Kulturen. Ich fürchte, hier wird ständig Kultur mit Religion verwechselt. Der Islam vereint allerdings alles. Darum eben kann er dem „westliche Lebensstil“ gefährlich werden – also dem Aufgehen in der westlichen Kultur. Sagt das nicht alles?

    • Oktober 19, 2010 9:07 am

      Erstmal danke für den Kommentar! Ich möchte aber nur kurz anmerken, dass mir durchaus bewusst ist, dass man Religion und Kultur differenzieren muss. Religion ist ein Bestandteil von Kultur, ebenso Zivilreligion. Religion kann man aber auch als determinierenden Bestandteil von Kultur ansehen, also als „kulturschaffende“ Komponente des öffentlichen und privaten Lebens. (Betrachtet man z.B. den Jemen als aktuelles Beispiel, oder aber auch die gesellschaftlichen Entwicklungen in vom Calvinismus geprägten Landstrichen in den letzten Jahrhunderten, wird hoffentlich klar was ich damit meine). Aber grundsätzlich vielen Dank für den Hinweis, ich hoffe aber, dass dem Leser trotz dieser Vereinfachung das Grundanliegen klar wird!

  2. sam permalink
    Oktober 18, 2010 3:58 pm

    … und dass es sich dann doch wieder nur um die Angst vor dem Anderen handelt und nicht um den Wunsch, eine bestimmte „Leitkultur“ zu bewahren.

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